Rede
Berlin, 10.05.2007 - BFW Immoblienkongress 2007, Arbeitsgruppe Marketing
"Lebst Du noch oder wohnst Du schon? Innerstädtische Wohnformen von morgen"
Statement von Peter Götz zum Wohnen der Zukunft und der Förderung der Innenstadtentwicklung
Stadtentwicklung ist ein dynamischer Prozess. Der Mensch muss dabei im Mittelpunkt stehen
Wenn wir über Wohnen der Zukunft nachdenken, meinen wir zunächst
· Wie sehen die Wohnungen aus ?
· Brauchen wir neue Grundrisse ?
· Gibt es Förderung, Steuererleichterung ?
· Neue Bauformen, neue Baustoffe ?
· Wie sieht die energetische Situation aus ?
· Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf das Wohnen ?
Alles wichtige Fragen, aber Fragestellungen, die sich nur auf die Wohnung selbst konzentrieren, springen zu kurz.
Deshalb ist es richtig, dass die Veranstalter dieses Kongresses den Zusammenhang zur Innenstadtentwicklung hergestellt haben.
Beides: Stadtentwicklung und Wohnen müssen mehr denn je im Zusammenhang gesehen werden.
Unsere Städte gelten seit langem als Zentren des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens.
De-Industrialisierung, sozialer und demografischer Wandel führen zu starken Umbrüchen, über deren Auswirkungen intensiv nachgedacht werden muß.
Wo früher Vieh und Gemüse feilgeboten und später politische Kundgebungen abgehalten wurden, dominieren heute zu Erlebniswelten ausgebaute Einkaufspassagen, die häufig von Sicherheitsdiensten bewacht werden. Und es hat sich eine neue "städtische Elite" herausgebildet, deren bevorzugte Wohngebiete nicht mehr nur städtische Villenviertel, sondern zunehmend sanierte, innerstadtnahe Altstadtviertel sind.
Auf der anderen Seite jedoch wächst die Zahl einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen in den Städten – ebenfalls als Folge veränderter Wirtschaftsstrukturen.
Hinzu kommt, dass unsere Städte – und das gilt nicht nur für Städte in Deutschland – oft Pionierarbeit für bahnbrechende umweltpolitische Maßnahmen leisten und gleichzeitig direkt oder indirekt am stärksten zur Zerstörung und Verschmutzung der natürlichen Ressourcen beitragen.
Die aus diesen wenigen Eingangsbemerkungen zu ziehenden Konsequenzen haben alle etwas mit Wohn- und Lebensqualität zu tun.
Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschäftigen sich die Bauminister der Europäischen Union in 2 Wochen in Leipzig zu Recht intensiv mit der „nachhaltigen europäischen Stadt“. So ist vorgesehen, in der „Leipzig Charta“ ein eindeutiges Bekenntnis zu einer integrierten Stadtentwicklungspolitik abzugeben.
Integrierte Stadtentwicklungspolitik ist die zentrale Voraussetzung, um den notwendigen Interessensausgleich zwischen Staat, Stadt, Bürgern und Unternehmen herzustellen:
- Öffentliche und private Investitionen müssen besser auf einander und unter einander abgestimmt werden.
- Bürger und Unternehmen sind aktiv und vor allem frühzeitig an der Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes zu beteiligen.
Oder anders ausgedrückt: Die Menschen müssen dort abgeholt werden, wo sie leben!
Aus ökologischen Gründen, aber auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, gewinnt zu Recht der Grundsatz "Innenentwicklung vor Außenentwicklung" zunehmend an Bedeutung.
Mit den Änderungen des Baugesetzbuches (BauGB), die am 01. Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind, wollen wir die Innenentwicklung von Städten und Gemeinden erleichtern und fördern. Durch die Einführung eines beschleunigten Verfahrens für Bebauungspläne der Innenentwicklung ist es erstmals einfacher in den Städten zu bauen als außerhalb. Ziel ist, in Zukunft verstärkt die städtebaulich ungenutzte Brache statt der "Grünen Wiese" zu nutzen.
Und wir haben erstmals im BauGB durch einen neuen § 171 f) eine Bestimmung aufgenommen, die es ermöglicht, private Initiativen zur Aufwertung von Stadtquartieren besser zu nutzen.
Zu Zeiten begrenzter Ressourcen und leerer kommunaler Kassen wird es zunehmend wichtig, alle Akteure und Interessenträger – vor allem die Privatwirtschaft – in Prozesse der Stadtentwicklung einzubinden. Öffentlich-Private-Partnerschaften können hierfür ein geeignetes Instrument sein.
Wir brauchen sowohl beim Wohnungsbau als auch beim Städtebau neue Ansätze: Deshalb ist es gut und richtig,
· dass die Bundesregierung ein neues Programm für die Innenentwicklung vorbereitet und
· dass das Programm "Städtebaulicher Denkmalschutz" ab 2008 auch für die alten Länder gilt.
Wenn wir über den Klimawandel nachdenken, sehen wir sehr schnell, dass unsere Städte davon in besonderer Weise betroffen sind. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind vor allem in Ballungsräumen zu spüren. Städte sind von Haus aus "Wärmeinseln". Ziegel, Beton und Asphalt wandeln die Sonnenstrahlen in Wärme um und speichern sie in Gebäuden und Straßen. Im Mittel sind Städte 2 bis 4 Grad wärmer als ihr Umfeld.
In der Nacht kühlen Städte weit weniger stark ab als ihr ländliches Umfeld. Das kann vor allem für ältere Menschen zu einer gesundheitlichen Bedrohung werden. Grünflächen in der Stadt erhalten eine ganz neue Bedeutung.
Ich meine damit nicht nur die großen Parks, sondern auch viele kleine Grünanlagen in den Stadtquartieren. Sie sind zum Spazierengehen und als grüne Lunge für den Luftaustausch wichtig.
Aber: Sie lindern auch Hitze und tragen so dazu bei, das Wohnen in der Stadt vor allem in den Sommermonaten erträglich zu machen.
Nur zur Erinnerung:
1994 verdoppelte sich während einer 2-wöchigen Hitzewelle in Berlin die Sterblichkeit. Von der extremen Hitzewelle des Jahres 2003, die in Europa 35.000 Opfer forderte, will ich gar nicht reden.
Ich will damit sagen: Wir brauchen, wenn wir der globalen Erwärmung entgegensteuern wollen,
- ein verändertes Verhalten,
- eine intelligente Stadtplanung,
- eine neue Architektur und vor allem
- neue Baustoffe
In allen Wohnungen elektrische Klimageräte einzubauen, wäre die falsche Antwort, denn das würde den Energieverbrauch explodieren lassen.
Wir müssen also darüber nachdenken, wie wir die energetische Sanierung des Gebäudebestandes vorantreiben. Denn was gegen die Kälte gut ist, ist in der Regel auch für die Hitze von Vorteil.
So fließen bis 2009 insgesamt 5,6 Mrd. Euro an Bundesmittel in die energetische Gebäudesanierung. Im Jahr 2006 wurden 265.000 Wohnungen und Eigenheime saniert und haben ein Investitionsvolumen von 11 Mrd Euro ausgelöst, mit allen positiven Auswirkungen für das heimische Handwerk und den Arbeitsmarkt.
Mit dem Programm wurde die Grundlage gelegt für einen effizienten Einsatz von Energie. Auf diesem Gebiet ist noch viel zu. Auch die Baukultur ist nach meinem Verständnis ein unverzichtbarer Bestandteil der integrierten, insbesondere der nachhaltigen Stadtentwicklung.
Sie muss in einem umfassenden Sinn verstanden werden, denn Baukultur beschreibt die Gesamtheit aller die Qualität der gebauten Umwelt beeinflussenden
- ökonomischen
- kulturellen
- technischen
- sozialen und
- ökologischen Aspekte
Die Gesamtqualität wird zunehmend als wichtiger Faktor im Standortwettbewerb erkannt.
Lassen Sie mich abschließend noch zwei Aspekte ansprechen, der mir wichtig sind:
I.
Fragen der Integration, demographische Teilhabe, Partizipation und Stärkung eines interkulturellen Dialogs werden unbestritten als "weiche" Standortfaktoren immer wichtiger.
Mitentscheidend für die Lebensqualität in unseren Ballungsräumen wird also die Antwort auf die Frage sein, ob es gelingt, breite Bevölkerungsschichten inklusive bisher benachteiligter Gruppen wie Migranten und sozial Schwache an der Gestaltung ihrer Stadt zu beteiligen.
Ich will nicht das Schreckgespenst von brennenden Autos und gewalttätigen Jugendlichen, wie wir es in Frankreich immer wieder sehen, an die Wand malen. Aber Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt, Kriminalität und Benachteiligung sind auch in Deutschland in vielen Regionen zunehmend wichtige Themen, die intelligente Lösungen erfordern.
Dezentrale Strukturen, überschaubare Einheiten und eine Beteiligung der Bewohner können dabei helfen. Integration gehört zu den herausragenden Aufgaben der Zukunft.
II.
Wir werden nicht umhin kommen, in bestimmten Regionen Wachstumsstrategien durch Umstrukturierungs- und Schrumpfungsstrategien zu ersetzen.
Es müssen Antworten auf viele Fragen gefunden werden:
Was passiert mit der technischen und sozialen Infrastruktur
* wie Versorgung mit Trinkwasser, Fernwärme, Strom, Gas oder der Abwasserbeseitigung?
* mit Straßen, Kindergärten, Schulen, Sportstätten, Schwimmbädern?
* wer bezahlt den notwendigen Anpassungsprozess?
Wir wissen, dass aufgrund der Altersstruktur andererseits der Bedarf an Senioren- und Pflegeeinrichtungen zunimmt – alles Entwicklungen mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Wohnungs- und Städtebaupolitik.
Wohnungsleerstände und ein sich negativ veränderndes Wohnumfeld, mit allen daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Folgen, haben enorme Konsequenzen für den Immobilienwert und damit auf den Bausektor.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen:
Wir sollten alles tun, um unsere Innenstädte und Ortskerne zu stärken.
Das ist gut für den Einzelhandel und es bietet eine gute Perspektive für innerstädtisches Wohnen der Zukunft.