Rede
Stuttgart, 06.02.2006 - Kommunalpolitisches Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung
"Kompetenzzentrum Europäische Metropolregion - Neue Initiativen"
Global denken - lokal handeln
Sehr geehrte Damen und Herren,
einige wenige grundsätzliche Bemerkungen zur Situation der Städte und Regionen vorweg:
Unsere Metropolregionen stehen heute mehr denn je in einem europäischen und weltweiten Wettbewerb um Wirtschaftsinvestitionen und damit um Arbeitsplätze. Nahezu ein Drittel der Menschen in Deutschland leben in Großstädten mit über 100.000 Einwohnern. Dort wird etwa 43% des BIP erwirtschaftet.
Für die Menschen sind Städte ein nach wie vor attraktiver Lebensmittelpunkt, der vielfältige Chancen der individuellen, sozialen und kulturellen Entfaltung bietet.
Hinzu kommt, dass zukunftsfähige Arbeitsplätze vor allem im Bereich
· der Dienstleistungen oder
· der Innovations- und Kommunikationstechnik
dieser geradezu spezifischen Vorteile einer Stadt bedürfen. Sie sind oft entscheidend auf die Leistungsfähigkeit der Stadt angewiesen.
Vor diesem Spannungsfeld werden nach wie vor Menschen unterschiedlichster Bildung und Herkunft wie Magnete in die Städte und Metropolregionen gezogen. Nach einer veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung verlassen die Deutschen immer mehr die ländlichen Gebiete und ziehen in die Großstädte. Gewinner sind Metropolregionen wie Stuttgart, aber auch Berlin, Hamburg, Frankfurt und München.
Die Ballungsräume sind Seismographen für gesellschaftliche Veränderungen. Probleme der Zukunft sind in den Städten früher als anderswo zu erkennen. Insofern ist und bleibt Stadtentwicklung ein unheimlich dynamischer Prozess, unabhängig davon, ob sich die Entwicklung positiv oder negativ vollzieht.
Wenn wir über den eigenen Tellerrand schauen und das Thema global andenken, stellen wir schnell fest, dass sich die Regionen auf unserer Erde in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten und sehr differenziert entwickeln.
Vor wenigen Jahren wurde eine magische Zahl überschritten:
Mehr als 50% der Weltbevölkerung lebt inzwischen in Städten.
Es gibt 400 Städte mit mehr als ein Million Einwohnern.
15 von 20 so genannten "Mega-Cities" – also Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern – befinden sich in Entwicklungsländern. Täglich wächst dort die Zahl der Stadtbewohner um 180.000.
Die mit einer solchen Wachstumsdynamik verbundenen Probleme üben einen gewaltigen Handlungsdruck aus: auf die Politik und die Verwaltungsorgane der Stadt.
Warum sage ich das?
Mir erscheint es wichtig, deutlich werden zu lassen, dass wir neben unseren eigenen wichtigen Hausaufgaben unsere Augen offen halten müssen für Entwicklungen auf unserem Globus, deren Auswirkungen sehr schnell zu uns herüberschwappen können.
Eine Milliarde Menschen in Slums – keiner kennt die genaue Zahl – kämpfen um ihr tägliches Überleben, "stürzen", wie Klaus Töpfer sagt, "schnell in die Fallgrube krimineller Auseinandersetzungen, getrieben von abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit, von dem erschöpfenden Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben".
Unsere Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel hat vor zwei Wochen auf dem Wirtschaftsforum in Davos zu Recht gesagt: "Wenn wir nicht heute helfen, die Probleme vor Ort zu lösen, werden sie uns eines Tages im eigenen Land einholen."
Deshalb kann es nur im eigenen Interesse auch der Metropolregionen in den Industrieländern sein, mitzuhelfen, Städte anderer Regionen dieser einen Welt zu stabilisieren. Viele bestehende Partner- und Patenschaften dafür sind gute Beispiele.
Doch zurück ins Schwäbische, zum Großraum Stuttgart, eine der bedeutenden Europäischen Metropolregionen: Auch hier geht es nicht ohne funktionierende Partnerschaften. Partnerschaften zwischen der Großstadt Stuttgart und den Kommunen der Region.
Das natürliche Spannungsfeld zwischen Stadt und Stadtregion mit all seinen Gegensätzen und unterschiedlichen Interessen scheint dabei immer noch am besten durch partnerschaftliche Lösungen bewältigt werden zu können.
Durch vernünftiges Miteinander und Kooperationen lassen sich die großen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb besser lösen. Der Grundsatz der Subsidiarität muss dabei einen hohen Stellenwert haben. Da gebe ich Herrn Dufeil Recht. Mir ist bewusst: Das ist einfacher gesagt als getan. Die Interessenslage ist sehr unterschiedlich.
Wenn es um die Suche nach Patentrezepten für unsere Städte und Regionen geht, sind viele Fragen zu beantworten und gemeinsam müssen Antworten auf Fragen gesucht werden, wie:
· Wohin wollen wir unsere Städte im 21. Jahrhundert steuern?
· Wie kann den Ansprüchen und Anforderungen der Menschen bei immer enger werdenden finanziellen Ressourcen noch Rechnung getragen werden?
· Welche Auswirkungen hat die demographische Entwicklung auf die Infrastruktur, auf die Wasserversorgung, Entwässerung, auf Wohnungsbau, auf Kindergärten, Schulen, Pflegeheime?
· Brauchen wir im Hinblick auf die älter werdende Bevölkerung andere Wohnformen, andere Betreuungsangebote, andere Nahversorgung und Veränderungen bei Dienstleistungen?
· Sind die Folgen von gesunkenen Geburtenraten und der vorherrschenden Alterungstendenz der Bevölkerung, die in vielen Städten eindeutig zu weniger Einwohnern führen, scheinbar unlösbare Probleme – oder noch wichtiger,
· wie können diese Veränderungen, auch als Chance genutzt werden?
· Wie kann Stagnation oder gar Rückschritt durch Re-Urbanisierung eine Renaissance der Städte einleiten? - Ein ungeheuer spannendes Thema, das vielfach verdrängt wird!
· Wie kann die Wirtschaft, die oft vor der gleichen Aufgabe steht, in diesen, in vielen Regionen bereits massiv spürbaren Schrumpfungsprozess eingebunden werden?
Antworten auf diese Fragen können nur lokal, vor Ort gegeben werden und zwar in Chemnitz, Dessau oder Gelsenkirchen andere, als in München, Frankfurt oder Stuttgart.
Für alle gilt jedoch gemeinsam:
· Wir brauchen eine starke kommunale Selbstverwaltung mit einer klar definierten Finanzautonomie, in der eigenverantwortlich vor Ort die Entwicklungslinien für solide Gesamtkonzepte erarbeitet und entschieden werden. Und:
· Wir brauchen mehr denn je individuelles integratives und sektorübergreifendes Denken und Handeln, durch das für jede Stadt oder Region eine eigene Identität entstehen kann.
Je mehr Freiheit und Freiraum für kommunale Entscheidungen vorhanden sind, desto leichter können diejenigen, die vor Ort in der Verantwortung stehen, für ihre Stadt, für ihre Region die Weichen richtig stellen.
Dieser Gestaltungsspielraum ist aber nur vorhanden, wenn die Rahmendaten stimmen.
Wenn, wie in diesen Tagen von den kommunalen Spitzenverbänden veröffentlicht, die Kassenkredite der Kommunen in Deutschland in 2005 einen Höchststand von 23 Mrd. erreicht haben und die kommunalen Investitionen in den letzten 3 Jahren um 45% zurückgegangen sind, dann stimmte etwas nicht mehr im kommunalen Getriebe.
Hier besteht dringend Handlungsbedarf.
Lassen Sie mich, Monsieur Dufeil, auch in Anwesenheit von Repräsentanten der EU-Kommission folgendes kritisch anmerken:
Wir, damit meine ich uns alle, die in der Europa-, Bundes- oder Landespolitik Verantwortung tragen, sollten sehr wohl dafür sorgen, dass sich die Landes-, Bundes- vor allem aber die Europapolitik aus kommunalen Angelegenheiten heraushält. 70% aller die Kommunen berührenden Regelungen haben ihren Ursprung in der europäischen Rechtsetzung.
Ich habe dieser Tage die klein gedruckte Fassung einer europäischen Vornorm zur "vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung für die Stadtplanung" in die Hände bekommen. Es ist unstrittig, dass eine ordnungsgemäße Stadtplanung zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung beitragen kann und muss. Aber es ist auch unstrittig, dass es dazu keiner besonderen Norm der Europäischen Union bedarf. Dieser Unfug muss im Keim erstickt werden.
Wir haben nicht zu wenig, sondern zu viel Vorschriften. Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Kommunen.
Europa muss nicht alles regeln! Die Europäische Kommission ist gut beraten, wenn sie sich um die wichtigen Aufgaben wie Verteidigung, Währung oder um Wettbewerbsfragen im Weltmarkt kümmert. Auf Kompetenzen der Europäischen Union für den Bereich der Stadtplanung können wir gut verzichten.
Wir müssen vielmehr darüber nachdenken, wie wir eine größere Einflussnahme auf die Entscheidungen der Europäischen Union mit kommunalen Auswirkungen hinbekommen.
Ich plädiere dafür, dass wir in Brüssel so bald wie möglich - analog des leider durch Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden etwas „hängen gebliebenen“ Vertrages über eine europäische Verfassung - ein sog. Frühwarnsystem einrichten, das im Vorstadium bereits verhindert, dass Normen und Richtlinien, die von den Kommunen umzusetzen sind, überhaupt entstehen.
Die Bundespolitik aber auch die internationalen kommunalen Verbände wie der RGRE können auf diesem Gebiet noch Potentiale aufbauen – um mitzuhelfen Fehlentwicklungen und Auswüchse zu verhindern. Das erscheint mir wirkungsvoller als in Brüssel nach kleinen Fördertöpfen zu suchen, um irgend etwas Schönes zu machen, nur weil es dafür Geld aus Europa gibt.
Wir brauchen vielmehr auf internationaler Ebene Netzwerke für Erfahrungsaustausch – "best practices". Netzwerke, die eine Ideenbörse sein können, um Metropolregionen nach vorne zu bringen.
Lassen Sie mich abschließend noch einige Punkte ansprechen, die mir ebenfalls wichtig erscheinen:
1. Zu einer dauerhaften Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb mit anderen gehören nicht nur eine moderne technische Infrastruktur, sondern auch die Beantwortung der Frage nach einer kinderfreundlichen Familienpolitik. Der Staat kann dafür Rahmenbedingungen setzen. Aber das Wie, das Wie viel und das Wo lässt sich nirgendwo so gut wie auf der lokalen Eb